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Nachhaltigkeit von der Heugabel zur Gabel auf dem Tisch: Vom Käsebauern, der „on top“ Kosmetikproduzent wurde

Nachhaltigkeit von der Heugabel zur Gabel auf dem Tisch: Vom Käsebauern, der „on top“ Kosmetikproduzent wurde
Lesedauer 7 Minuten

Ein Vorort-Termin in Vorarlberg. In Zeiten globaler Krisen und Trends zu Großmolkereien. Größer bauen oder gar den Hof in Gänze aufgeben? Ingo Metzler überlegte zwischenzeitlich, die Viehwirtschaft komplett aufzugeben. Doch seine Jungs protestierten. Ganz ohne Tiere, das ginge nicht, wäre nicht nachhaltig. Und laborierte an etwas ganz Neuem, lebt die Transformation…

Nachhaltigkeit, das sei in den Bergen ebenso wie im Tal schon früh ein Thema gewesen, so Metzler. Schließlich wolle man möglichst wenig wegschmeißen. „Leider ergibt 1 Liter Milch nur 100 Gramm Käse“, stellt Ingo Metzler fest. Wohin also mit dem Rest, fragte er sich: „Wie lässt sich auch dieser zu Geld machen?“

Metzler verfütterte die übrigbleibende Molke zuerst an die eigenen Schweine. Bis Susanne Kaufmann, Besitzerin eines angesagten Wellness-Hotels im benachbarten Bezau, mit einer unkonventionellen Idee um die Ecke kam. „Wie wäre es, die Molke in Fuß- und Handcremes zu verarbeiten?“ Die Kosmetikerin und der Landwirt tüftelten im Bauernhof-eigenen Labor nach hautnahen Naturprodukten. 

Unternehmergen

Mittlerweile, zwanzig Jahre später, entwickeln und produzieren Metzlers, eine Handvoll Angestellte in Festanstellung, Käse und Kosmetik direkt nebeneinander – in geringer Stückzahl: „Wir machen vieles wenig statt von Wenigem viel“, trotz der Kosmetik-Käsemann den Gesetzmäßigkeiten des Weltmarkts.  „Wir behalten die gesamte Wertschöpfung bei uns“, berichtet Metzler selbstbewusst.

„Wir machen vieles wenig statt von Wenigem viel“

Ingo Metzler

Durch Geothermie und Solarenergie produziert der Familienbetrieb mehr Wärme und Strom als sie selbst benötigen. „Auch in der kalten Jahreszeit“, fügt Metzler hinzu. Und zeigt mit seinem Finger über die Photovoltaikpanelen hinaus in Richtung Berge. Mehr hören:

Artikelbilder: Jan Thomas Otte

Und hier noch einmal die Reportage im O-Ton, zusammengefasst, was Ingo Metzler uns berichtet hat:

Eine Ziege meidet Wasser wie die Pest. Sie bleibt lange vor dem ersten Regentropfen im Stall und geht niemals freiwillig auf nasses Gras. Selbst wenn es im Sommer heiß ist und Schatten im Wald vorhanden ist, würden die Ziegen die Bäume abnagen und alles ruinieren. Daher verbringen sie viel Zeit im Stall.

„Heufütterung 3%“

In Europa basiert nur etwa 3% der hergestellten Milch auf Heufütterung, während 97% auf Silagefütterung basieren. Die Tierhaltung, Milchproduktion und Käseherstellung unterliegen dem EU-Lebensmittelgesetz, während die Kosmetikproduktion und Lagerverwaltung auf der anderen Seite der Straße stattfinden. Interessanterweise sind die Produkte, die man auf die Haut aufträgt, wesentlich strenger reguliert und kontrolliert als die, die man isst. Die Anlieferung der Rohstoffe für die Kosmetikproduktion erfolgt in einem Paletten-Hochregallager, von wo aus sie computergesteuert in die Produktion gelangen. Die Produkte werden hauptsächlich im deutschsprachigen Raum direkt an den Endverbraucher versendet, der sie digital oder telefonisch bestellen kann. Das Paket mit Rechnungen und Zahlungsangaben wird dann direkt an den Verbraucher verschickt.

Im hinteren Teil des Betriebs befindet sich der „weiße Bereich“, in dem die Produktion stattfindet und spezielle unterirdische Bügeleisensysteme genutzt werden können. Mitarbeiter müssen hier spezielle Straßenkleidung tragen und eine Barriereschleuse passieren. Es werden insgesamt 400 verschiedene Kosmetikprodukte hergestellt, nicht nur Eigenmarken, sondern auch Produkte für Fremdmarken. Ein Beispiel hierfür ist die Verarbeitung von Molke, die beim Käsen anfällt, zu Kosmetikprodukten.

„Inovation im Labor“

Ingo Metzler

Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit mit einem Bio-Betrieb in der Steiermark, der Stutenmilch produziert und die Idee hatte, dass aus dieser Milch auch Kosmetikprodukte hergestellt werden könnten. Ursprünglich waren es nur zwei Produkte, aber bald darauf wurden es 16 verschiedene Produkte. Die Stutenmilch wird zu dem Betrieb geschickt und die fertigen Produkte werden entweder zurück in die Steiermark geschickt oder regional vermarktet. Eine wichtige Partnerschaft besteht mit dem Hotel Post in Österreich, das zu den führenden Wellness- und Spa-Hotels des Landes gehört. Eine weitere Marke, die bei dem Betrieb produziert wird und weltweit vermarktet wird, ist die Kosmetikserie von Susanne Kaufmann, die Besitzerin des Hotels Bosnien.

Wenn man Tierprodukte bei sich produziert, ist man laufend gefordert, neue Produkte zu entwickeln, Qualitätssicherung zu betreiben und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Dazu braucht man auch ein Labor, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Ein zentrales Thema in der Produktion ist das Lager, da man schnell und lieferfähig sein muss. Man muss alle Teile, die dazu notwendig sind, parat halten. Wenn man in der Endfertigung eine Gesichtscreme anfertigt und dann auf den Tiegel 18 Wochen warten muss, interessiert es niemanden mehr. Wenn man heutzutage ein Paletten Hochregallager baut, wird man diese Regale in Metall einrichten. Aber wenn man von Regionalität, regionaler Wertschöpfung, Nachhaltigkeit, ökologischem Fußabdruck und all diesen Dingen redet, kann man dann chinesisches Stahl einsetzen? Wahrscheinlich nicht, da die Lieferketten global unterbrochen sind.

„Stahl statt Holz“

Ingo Metzler

Deshalb haben wir uns für Holz entschieden, einen heimischen nachwachsenden Rohstoff mit regionaler Wertschöpfung und anderer Nachhaltigkeit sowie einem anderen ökologischen Fußabdruck. Wir haben uns für Holz entschieden, obwohl es mindestens doppelt so teuer wie Stahl ist, sogar für schnell wachsende Fichte. Wir haben ein Paletten Hochregallager in heimischer Fichte ausgeführt, das von einem Zimmermann nur zehn Kilometer von hier weg gebaut wurde. Wir haben hier 1100 Palettenplätze, die von einem speziellen Systemgerät bedient werden. Die Maschine steht am Boden induktionsgeführt und navigationsgesteuert. Kein einziger Palettenplatz ist nummeriert oder angeschrieben, da nur die Maschine weiß, wo die Dinge liegen. Das ist auch nicht wichtig. Wenn die Landes Raumplanung sagt, dass 13 Meter nicht in Frage kommen, müssen wir das Ding versenken. Unser Paletten Hochregallager ist 10 Meter im Boden versenkt, um es raumplanerisch in der Peripherie platzieren zu können. Das macht die Sache nicht leichter.

In Bezug auf besondere Produktionsbetriebe spielt das Thema Energie eine große Rolle. Das liegt nicht nur daran, dass es in einigen Ländern politische Unruhen gibt, sondern auch daran, dass Kunden sich immer mehr für die Nachhaltigkeit unserer Produkte interessieren. Wir verwenden nur natürliche Bestandteile in unseren Produkten und pflanzen auch nur solche Zutaten an, die uns Freude bereiten. Doch es gibt immer mehr Menschen, die sich auch Gedanken über die Energiebilanz machen. Wenn wir sagen, dass wir natürliche Bestandteile verwenden, dann fragen sie: „Okay, aber wie viel CO2 wird bei der Herstellung ausgestoßen?“

CO2-Bilanz, Klimaschutz, Nachhaltigkeit

Deshalb haben wir uns intensiv mit dem Thema Energie auseinandergesetzt und ein Konzept umgesetzt, das bislang einzigartig ist. Es betrifft die thermische Energie, also Raum- und Prozesswärme. Wir beziehen diese Energie ausschließlich von der Sonne. Dazu haben wir eine thermische Solaranlage gebaut und einen großen Schotterspeicher angelegt, der im Sommer aufgeheizt wird und im Winter die Wärme abgibt. Wir benötigen nur noch wenig Strom für eine kleine Wärmepumpe. Übrigens haben wir auch eine eigene Stromversorgung, die uns mehr als genug Energie für unsere Produktion liefert. Wir sind jedoch kein Freizeitpark und bauen keine Spielgeräte für Kinder. Bei uns spielen die Tiere die Hauptrolle, deshalb haben wir unseren Architekten gebeten, eine artgerechte Unterkunft für unsere Hasen zu planen.

Die Milch wird draußen von den Tieren gewonnen und in Tanks abgekühlt, bevor sie am frühen Morgen zur Verarbeitung kommt. Die Käserei verfügt über drei Stationen, an denen drei unterschiedliche Käsesorten in vielfältigen Formen hergestellt werden können. Die Käseproduktion beginnt um vier Uhr morgens und dauert bis etwa 12:00 Uhr mittags. Der Bergkäse braucht neun Monate, um zu reifen, und erfordert viel Tieflagerung. Die Käserei Fischwetter ist Teil der Käsestraße Bregenzerwald, einer Gemeinschaft von 200 Betrieben, die sich darauf konzentrieren, die Herstellung und Vermarktung von verschiedenen Käsesorten zu fördern. Der Betrieb bewirtschaftet 35 Hektar Grünland und produziert täglich rund zweieinhalbtausend Liter Milch, aus der etwa 30 verschiedene Käsesorten hergestellt werden. Bei der Verarbeitung bleibt 90 % Molke übrig.

Es wurde schnell deutlich, dass die Wertschöpfung gesteigert werden musste, und die frische Molke bot eine vielversprechende Möglichkeit. Ein Freund aus der Schulzeit hatte viel Erfahrung in der kosmetischen Produktion gesammelt, während wir mit der Molke experimentierten und sie mit den umliegenden Heilpflanzen kombinierten. Wir entwickelten schließlich einen Badezusatz aus der Molke, den wir anfangs an Verwandte verschenkten. Als uns gesagt wurde, dass einige Leute keine Badewanne hatten, sondern nur eine Dusche, erweiterten wir unser Angebot und entwickelten auch Duschprodukte.

Wertschöpfung steigern, nur wie?

Dies führte schließlich dazu, dass wir 2000-2001 ein Betongebäude errichteten, das der Verarbeitung von Molke zu Kosmetika und anderen Produkten diente. Aufgrund neuer EU-Tierhaltungsgesetze mussten wir entscheiden, ob wir die Tierhaltung aufgeben oder neu investieren sollten. Da alle vier meiner Söhne begeisterte Bauern waren, war es undenkbar, die Tierhaltung aufzugeben, und so mussten wir die Tierhaltung neu gestalten. Zwei meiner Söhne waren auch ausgebildete Käser und erweiterten das Käsesortiment massiv. Auch die Milchverarbeitung musste neu gestaltet werden, da die Nachfrage im Bereich Kosmetik stark gestiegen war. Wir haben uns entschieden, den Kosmetikproduktionsbereich zu erweitern und ein neues Gebäude zu errichten.

Es gibt jetzt einen deutlichen Gegensatz zwischen dem Ziegenstall auf der linken Seite und dem Labor auf der rechten Seite, aber beide Seiten sind miteinander verbunden und entwickeln sich weiter. Die Verarbeitung, Lagerung und Verwaltung auf der einen Seite und die Tierhaltung und Milchverarbeitung auf der anderen Seite.


Jan Otte

Jan Otte ist Tech-Theologe und arbeitet als Evangelist zu #ResponsibleAI-Themen in den Bereichen Digitale Ethik, Agile Leadership und Veränderungsprozessen.

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