Kreativität und Durchhaltevermögen helfen. Wir brauchen aber auch Kenntnisse von Algorithmen für künstliche Intelligenz, mathematische Grundlagen und weitere Ansätze wie Design Thinking und andere Methoden. Gespräch mit Peter Klausmann…
Schnell verzetteln wir uns in Projekt- und Businessplänen, neuen IT-Strukturen und agilen Prozesse. Ich habe mit Dr. Peter Klausmann über notwendige Veränderungsprozesse gesprochen. Fazit vom Requirements Engineering bzw. Anforderungsmanagement: „Sei deine eigene Veränderung“.
Flexibilität und Fokus, das sind für ihn keine leeren Worte. Er versteht es als Grundprinzip des Lebens und will herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie sie funktioniert. Ich habe mit dem promovierten Ingenieur über höhere Mathematik, Chancen-Achtsamkeit und Meditation gesprochen. Und was das Ganze mit digitaler Ethik und Nachhaltigkeit zu tun hat.
Jan: Lieber Peter, wir haben uns kennen gelernt in einem gemeinsamen Projekttag den wir bei Deutschland erster Business School für digitale Ethik, Digethic, durchgeführt haben. Deine ungebremste Begeisterung für Kanban-Boards hat mich direkt beeindruckt. Und wie du die unendliche Weite von Religion mit ganz konkretem, praxistauglichem Projektmanagement miteinander verbindest…
Peter: Auch beim Mathematik Studium ging es um viel Unendlichkeit. Und Abstufungen von Endlichkeit. Ich bin katholisch erzogen, habe ein paar Semester Philosophie studiert. Und versuchen zu verstehen, wie die Welt funktioniert, das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Bei unterschiedlichen Tätigkeiten begleitet mich das, auch beim Bergsteigen oder Klettern.
Jan: Direkt die Gretchenfrage. Wie hast du‘s mit der Religion? Religion ist für dich…
Religion nicht glauben sondern praktizieren
Peter: Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass Religion nichts ist, was man primär glauben sollte sondern vor allem praktizieren. Und trainieren, so ein bisschen wie beim Sport. Wenn ich für einen Marathon trainieren will, so bekomme ich die Muckies dafür auch nicht durch den reinen Bucherwerb oder Sportschau gucken. So bin ich über einige Umwege beim Zen-Buddhismus gelandet, praktiziere zweimal die Woche in Karlsruhe. Und gehe regelmäßig in ein Kloster.
Jan: Das gefällt mir, wie du Wirklichkeit überhaupt erst mal wahrnimmst. Ich denke sie ist unheimlich wertvoll, diese Dimension religiöser Erfahrung. Und sie dann für dich strukturierst und einordnest, prozessierst und versuchst zu verstehen, die Ableitung zu finden in der Mathematik. Beziehungsweise das EVA-Prinzip aus der Informatik, über die Eingabe und Verarbeitung hin zur Ausgabe kommend. Am Ende sind es Gleichungen, Rechenwege, erlebte Wirklichkeit zu deuten.
Peter: Wir sind ja beides Experten für Veränderungsprozesse…
Jan: Das merke ich gerade auch stark in der Kirche. Das Verständnis der Mitgliedschaft in der Institution verändert sich, Menschen treten aus. Sie sind deswegen aber nicht automatisch weniger religiös. Ganz im Gegenteil! Sie suchen einfach neue Angebote und alternative Konzepte. Und das ein oder andere digitale Geschäftsmodell mitten in der Veränderung, dein Spezialgebiet…
Peter: Auch wenn ich es weiß, bin ich immer wieder überrascht, in was für einer schnelllebigen Welt wir leben. Aber auch die alten Griechen und Buddha haben schon verstanden, dass Veränderung Teil unseres Wesens ist. Alles fließt. Und dass wir als Menschen Veränderung erstmal nicht sonderlich mögen, ist natürlich ein alter Hut.
Jan: Für Unternehmer*innen geht es nun darum…
Veränderungsprozesse: Fokus im Hier und jetzt
Peter: … diese Veränderung zu gestalten und irgendwie damit umzugehen. Fokussiert zu bleiben. Im Hier und Jetzt, im Changemanagement. Fokus ist ein wichtiger Wert, gerade im agilen Bereich. Und dann das Beste draus zu machen. Wir haben viele Risiken, aber auch viele Chancen mit den neuen Technologien. Schauen wir einfach mal!
Jan: Von einem Job zum nächsten, Corona als Brandbeschleuniger von Digitalisierung. Ich spreche als Pfarrer viel mit Menschen, die furchtbar viel Angst haben vor Veränderungen und den ganzen Technikfolgen, die schlaue Algorithmen und die sogenannte Künstliche Intelligenz mit sich bringen. Beherrscht du eigentlich „Digital Detox“?
Peter: Offiziell sind im Kloster E-Mails tabu, und um Handy-Empfang zu bekommen, muss man schon eine Weile gehen. Als Unternehmer schaue ich einfach, dass alles läuft, guck ab und zu mal paranoid rein. Ansonsten ist man dort viel mit Meditation, Kochen oder Holzhacken beschäftigt. Da bleibt wenig Zeit für digitale Technik…
Jan: Schauen wir auf den Hintergrund, den wir gerade haben, Transformation. Die Nachhaltigkeitszeile der Vereinten Nationen, das Jahr 2030. Bis dahin soll eine Menge passieren. Ich unterscheide zwischen Mikroebene, das bin ich. Makroebene, das bist du und die Organisation. Und die Makroebene, das große Wir, das Ganze, der Globus, wo alles zusammen kommt.
Peter: Dein Ziel in Kursen über digitale Ethik?
Jan: Teilnehmenden Mut machen, anzufangen, auch unperfekt. Den ersten Schritt wagen. Hauptsache, in Bewegung kommen statt alles auf die lange Bank schieben. Und die Halbwertszeit von Wissen im digitalen Zeitalter, sie nimmt so schnell ab. Was möchtest du über Kanbanboards, Tools und Prozesse hinaus deinen Teilnehmenden mit auf den Weg geben?
Ideas Management: Engpass Umsetzungskapazität
Peter: Im Grunde genau das gleiche. Auch hier mit der Veränderung zu beginnen. Der Engpass ist meistens nicht die Idee. Ich habe noch nie ein Unternehmen erlebt, was nicht genug Ideen hatte. Meistens scheitern Innovationsprojekte ja an was anderem, nämlich an der Umsetzungskapazität.
Jan: Daher Design Thinking für den Start, ein Minimum Viable Product fürs Startup um…
Peter: … damit möglichst rasch zum Kunden zu gehen und den ersten Nutzen zu liefern, selbst wenn das Produkt noch nicht total perfekt ist. Perfektionismus kommt erst später. Wenn das Produkt erfolgreich ist, kann es iterativ entwickelt werden. Und wenn es nicht fliegt, hat man zumindest nicht so viel Geld in den Sand gesetzt und kann sich, nach vorne tastend, neuen Ideen widmen.
Jan: MVP ist cool! Alle freuen sich, etwas in der Hand zu halten ist und nicht nur in endlos langen Meetings zerredet wird. Wichtig ist dass es geliebt hat. Mal zwei Beispiele für angezogene Handbremse. Eine Kursteilnehmerin arbeitet in der öffentlichen Verwaltung einer deutschen Großstadt und berichtet, dass ihr Chef auf einem agilen Workshop war. Mehrstündige Besprechungen hat er verlagert, vom Sitzen zum Stehen. Immerhin. Bei gleich bleibender Zeit.
Peter: Oha!
Jan: Und ich denke an eines meiner letzten IT-Projekte im Versicherungsumfeld, große Umsätze, viele Prozessbeteiligte und Stakeholder. Mein Auftraggeber wünschte ein agiles Setup – bei gleichzeitiger Null-Fehler-Toleranz. Bei welchen Momenten musstest du schon schmunzeln an der Mensch-Maschine-Schnittstelle…
Peter: Ich mache viel agiles Projektmanagement. Mir geht es gar nicht so sehr darum, Menschen mit vielen Methoden zu versorgen. Ich will sie inspirieren, selbst aktiv zu werden und selbst neue Gedanken zu entwickeln. Und das Ganze werte-basiert, wie zum Beispiel Respekt. Wie können diese Werte zum Leben erweckt werden, dass sie nicht esoterisch in der Luft schweben?
Jan: Werte sind dann für mich Esoterik, wenn ich sie nicht einordnen kann, nicht nachvollziehen kann. Kulturwandel, Transformation – für sie gilt das gleiche. Kultur-prägende Erfahrungen können helfen. Wir kommen aus einer gewissen Kultur, haben Sozialisation hinter uns, berufliche Vorerfahrungen. Und die gilt es jetzt zu bereichern – über eine Lessons-Learned-Session nach abgeschlossenem Projekt hinaus.
Peter: Die meisten Menschen mögen Veränderung nicht, aus gutem Grund. Die Welt verändert sich und wir müssen die Welt so nehmen wie sie ist. Wer nicht permanent auf dem Gaspedal bleibt, wird an irgendeinem Punkt abgehängt.
Highspeed: Vom Gas geben und lassen
Jan: Ich bin ja auch in der Schule unterwegs, Mittelstufe wie Oberstufe. Und ich frage meine Lernenden, ob sie schon etwas gemacht haben in Richtung Medienpädagogik. Und schaue da meist in große offene Gesichter. Ethik ist irgendwie nicht Teil von Informatik. Und digitale Themen bisher nur wenig Teil von Ethik und dem Religionsunterricht. Wir wohnen beide im selben Bundesland, was sich Hightech und Innovation als „The Länd“ auf die Fahne geschrieben hat…
Peter: Bisher wird zu viel in Autobahnen, Kohlekraftwerke und andere Infrastruktur investiert. Der Bildungsbereich kommt danach, die Ausstattung von Schulen über den fehlenden WLAN Anschluss bis zum bröckelnden Putz an der Decke. Aber das liegt natürlich auch an endlos langen Gremien, jede und jeder will irgendwie mitreden. Und dann dauert es natürlich länger. Und Eltern sind gegenüber Lehrern sicherlich auch nicht unkomplizierter geworden.
Jan: Eine Sache die sicherlich auch nicht leichter geworden ist das digitale Führen, Digital Leadership. Auch hier eine Anekdote aus meiner Berufserfahrung. Ein Manager aus der mittleren Führungsebene beschwert sich, er habe nicht ausreichend „Durchgriff“ auf seine Mitarbeitenden, jede und jeder könnte irgendwie machen was sie wollen…
Mitarbeiterführung, auch ohne „Durchgriff“
Peter: Diesem Chef würde ich erst mal gratulieren zu seinen eigenständigen Mitarbeitenden. Schließlich sind diese nicht seine Leibsklaven. Sie tragen mit eigenen Ideen zum Gelingen eines Projektes bei. Ich habe da eher ein anderes Führungsverständnis: „Servant Leadersip“. Der Vorgesetzte als Vorbild, der in die Bresche springt, Schützengräben nicht scheucht. „Command and Control“l war gestern! Mit der Peitsche die Leute vor sich her zu treiben geht heutzutage nicht mehr, das braucht ein Update vom Menschenbild her…
Jan: Ich drücke auf meinem Laptop folgende Tastenkombination: STRG + V wie Vorbild. Wer oder was ist dein Vorbild, lieber Peter?
Peter: Einen großen Namen habe ich nicht, den ich aus dem Hut zaubern könnte. Kein überhöhter Messias wie Steve Job jedenfalls…
Jan: Wichtig ist doch, dass du dir als Projektleitender die Begeisterungsfähigkeit erhältst. Was nützt der schönste Plan, wenn die Umsetzung scheitert. Vielen Dank für unser Gespräch, Peter!
Artikelbild: Jeswin Thomas/ Unsplash
Eine Resonanz hinterlassen